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Ein Mann sitzt in einer Werkstatt und hält einen aufwendig verzierten Eisstock in der Hand. Auf dem Tisch vor ihm steht noch ein weiterer unvollendeter.
Ein Mann sitzt in einer Werkstatt und hält einen aufwendig verzierten Eisstock in der Hand. Auf dem Tisch vor ihm steht noch ein weiterer unvollendeter.

Wenn der See
zufriert.

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Der geht wie ein Glöckerl

Am Irrsee im Mondseeland fertigt Johann Hufnagl auf seiner Drechselbank Eisstöcke. Wenn im Winter der See zufriert, hat der Tischler in Pension Hochbetrieb.

 

Es riecht nach Holz und Feuer aus dem Ofen. Vor dem Panoramafenster der Tischlerei Hufnagl in Oberhofen am Irrsee im Mondseeland türmt sich der Schnee. Das Wasser ist unweit zu erahnen, das naturbelassene Ufer kaum sichtbar. Im Sommer tummeln sich hier die Badegäste, „im Winter, wenn der See zugefroren ist, ist viel mehr los“, verrät Johann Hufnagl. Der Tischler steht an der Drechselbank und arbeitet an einem Eisstock. Er ist seit gut zehn Jahren in Pension. Die Tischlerei, die er 1970 gegründet hat, hat sein Sohn Georg übernommen. An den Werkbänken, Kreissägen, an der Furnierpresse und im Spritzraum entstehen während des Jahres Kästen, Türen oder Betten. Küchen, Entspannungsliegen oder Tischgarnituren. In der kalten Jahreszeit vermehrt auch Eisstöcke. „Wenn der See friert, muss es schnell gehen“, weiß Hufnagl. Glänzt am Irrsee im oberösterreichischen Salzkammergut das blanke Eis, wollen die Menschen ihren Eisstock. Für die Partie mit Freunden und Nachbarn. Für die Winterfreude. Für ein Stück Geselligkeit. Über dampfenden Tassen voll Tee und Glühwein wird getratscht und gespielt. Die Stöcke fliegen übers Eis. Die Kinder mit den Schlittschuhen über den See. Wer kommt näher zur Daube (Zielobjekt)? Wer gewinnt die nächste Partie? Wer schmeißt die nächste Runde? Lachen, rotwangige Gesichter, fröhliche Stunden.

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In einem Schraubstock eingespannt befindet sich ein fast fertiger Eisstock. Das Holz des Eisstockes ist aufwändig gemustert. Auf dem Schraubstock liegen Holzspäne.

Traditionssport im Salzkammergut

Der Stocksport ist im Salzkammergut weit verbreitet. Zeigt sich das erste Eis auf Bachläufen, Seen oder Teichen, packen sich die Menschen in ihr Wintergewand und holen die Eisstöcke hervor. Meist spielen sie auf Natureisbahnen, manches Mal legen Gasthöfe oder Unterkunftsbetriebe eine Bahn an. Moarschaften (Mannschaften) treffen sich im gesamten Salzkammergut zu bestimmten Anlässen zum Traditionsschießen. Gäste können meist Eisstöcke ausleihen und Bahnen zum eigenen Vergnügen reservieren. Am Irrsee gibt es zwei Asphaltstockbahnen zum Stockschießen. Friert der See zu, stehen rund 345 Hektar Eisfläche für den Spaß mit dem Stock zur Verfügung.

Spezialist am Eis

Johann Hufnagl und seine Frau Berta spielen nur auf dem gefrorenen See. Früher waren sie oft mit von der Partie. Immer dann, wenn es in der Tischlerei und in der Pension, die Berta Hufnagl über 40 Jahre lang geführt hat, etwas ruhiger war. Wenn die fünf Kinder, und später die zwölf Enkerl, Zeit gelassen haben. „Ums Gewinnen geht es nicht, eher um die Gaudi“, sagt Hufnagl. In der Region ist er bekannt. Als jener, der als erster aufs Eis geht. „Die Leute rufen mich an und fragen: ‚Hufi, wie ist das Eis?’“, erzählt er und lacht. Ab vier Zentimetern Kerneis steht Hufnagl auf dem See. Im vorigen Winter ging das knapp 14 Tage lang. Aber es gab auch schon andere Zeiten. Da maß die Eisschicht 28 Zentimetern. „Da kannst du mit einem Lkw über den See fahren.“ Heute geht Hufnagl gerne über den See. Die Hüfte macht für eine Eisstockpartie nicht mehr ganz so mit. Dafür liefert er den passenden Stock fürs Spiel. Kleine und große Stücke heimischen Hartholzes – Ahorn, Birne, Nuss, Zwetschke – sammelt der Tischler in der Werkstatt. Reststücke, die nicht in den Ofen kommen. Er fertigt daraus einen individuellen Stock. „Jeder Stock sieht anders aus, aber alle wissen: ‚Der ist vom Hufi!’“

© Eisstockschnitzer ©STMG/ Schoiswohl
Ein Mann sitzt in einer Werkstatt und hält einen aufwendig verzierten Eisstock in der Hand. Auf dem Tisch vor ihm steht noch ein weiterer unvollendeter.

Autodidakt an der Drechselbank

Fürs Drechseln hat sich Hufnagl schon immer interessiert. Vor ein paar Jahren kauft er sich schließlich eine eigene Drechselbank. Die Fertigkeit lernt er sich im Alleingang. „Durchs Ausprobieren kommt man auf so vieles drauf. Da gibt es immer neue Ideen“, weiß er. Er drechselt Schüsseln, sein Enkerl gar Kugelschreiber. Er tischlert gerne und meist dann, wenn er dem Sohn bei der Arbeit nicht im Weg ist. Vogelhäuser, kleine Leiterwägen oder Uhrenkästen macht Johann Hufnagl. Rund 150 Eisstöcke sind unter seinen kräftigen Händen bereits entstanden. Knifflige Herausforderungen, wie die passende Form des Stichs, des Stockgriffs, freuen ihn besonders. Schließlich steht er seit seinem 13. Lebensjahr in der Werkstatt. Da gibt es nichts, das er nicht meistern könnte. Für den Stich etwa wollte er ein Ohr schaffen (Haken). Eines, an dem der kleine Finger einhaken kann, bevor der Spieler den Eisstock über die Bahn bringt. „Das hat mich so gewurmt, dass ich in der Nacht munter geworden bin und gesagt habe: ‚Das probiere ich jetzt!’ Ich habe sofort losgelegt“, erzählt er. Übung macht den Meister. Für den ersten Stock braucht er fast ein Jahr. Mit jedem weiteren Stück kommt die Erfahrung für die Feinheiten, die es braucht für den perfekten Stock.

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In einem Holzregal stehen zwei aufwändig gefertigte Eisstöcke und sowie weitere Kunstwerke aus Holz.

Stock in Perfektion

Fünf Holzplatten, den wohlgeformten Griff, das passende Loch, den richtigen Leim, einen Keil zur Befestigung und einen Eisenring. Den richtigen Abstand des Rings zum Boden, damit der Stock auch bei Schnee seine Bahn findet. Und viel Arbeit an der Werkbank, an der Drechselbank, an der Bandsäge, an der Holzfurnierpresse und am Ofen. Das sind die Komponenten für Hufnagls Eisstöcke. „Der Ring muss erhitzt werden, damit er sich dehnt. Dann kann man das Holz hineinpressen“, erklärt er. Den richtigen Zeitpunkt dafür hat er im Gespür: „Wenn ich mit etwas Spucke auf dem Finger auf den Ring greife und es zischt, hat er 180­ – 200° C. Das ist gerade richtig.“

 

Zwischen vier und fünf Stunden steht der Pensionist heute für einen Eisstock in der Werkstatt. Mit Arbeitsschürze und Sicherheitsbrille. Das fertige Werkstück wird mit Zweikomponentenlack lackiert und für mindestens zwei Tage zum Trocknen in den Spritzraum gestellt. „Vorher kann ich nicht garantieren, dass der Lack hält“, sagt er. Für Fragen tauscht er sich mit Kollegen aus. Eisstockschnitzer gibt es einige in der Umgebung. Zwei Nypmhensittiche leisten Hufnagl bei der Arbeit Gesellschaft. Wird es laut, fangen sie zu singen an. Er fertigt Stöcke nach Wunsch. Das Muster, das Material, die Verzierung mit dem eigenen Namen – alles ist möglich. Kinder, Frauen und Männer geben ihre Bestellungen bei ihm auf. Je nach Auftraggeber:in sind die Stöcke zwischen 15 und 28 Zentimeter im Durchmesser und zwischen zwei bis sechs Kilogramm schwer. Einen fertigen Eisstock verkauft er ab 130 Euro.

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Ein Mann steht in einer Werkstatt und bearbeitet ein Stück Holz, dass in einer Maschine eingespannt ist. Holzspäne fliegen in alle Richtungen.

Qualität fürs Spiel

Die meisten seiner Kund:innen sind Bekannte und kommen aus der Region. Sie wollen einen Stock. Selten wickelt er Großaufträge ab. Bei einer Weihnachtsausstellung in Fuschl am See war er besonders gefragt. „Eine Dame aus Wien wollte 17 Stöcke auf einmal. Da habe ich Tag und Nacht gearbeitet, um fertig zu werden“, erinnert er sich. Natürlich repariert er den einen oder anderen Stock. Schleift Fahrer:innen aus, lackiert neu. „Da wird ja oft gefetzt am Eis.“ So bleiben Stockraritäten erhalten, die oft von ungeahnter Qualität sind. Einen urigen Eisstock aus Birne hütet Hufnagl in der Werkstatt, wohlwissend um dessen Besonderheit: „Der ist gut fünfzig Jahre alt und geht noch wie ein Glöckerl.“ Vor dem Panoramafenster fällt frischer Schnee. Vielleicht geht der Eisstockschnitzer heuer doch wieder zu einer Partie. Mit dem Stock im Gepäck.